• IMO: 15122021
• Name: Atlantis
• Appearance: Passagierdampfer

Alte Liebe

von Micaela Sauber

Auf einer Bank am Hafenbecken sitzen zwei rundliche Frauen mit dicken Wollmützen, sie sind auch sonst warm eingepackt. Das Weiß der Bank ist im Winter schäbig geworden von salzigen Stürmen und Feuchtigkeit. Es ist noch früh im Jahr, und für die kommende Saison hatte man noch nicht zu Pinsel und frischem Weiß gegriffen. Manch Frühjahrssturm ist noch zu erwarten.

Anna Jepsen und Elke Rickmers schauen in dieselbe Richtung zum offenen Meer, zu der schmalen Ausfahrt zwischen den beiden langen Armen der schützenden Betonmolen. Da schaukelt gerade der kleine Winterdampfer „Atlantis“, der die Insulaner zweimal die Woche mit Lebensmitteln und Post versorgt, mit den letzten Ostergästen von dannen.
„Ich muss immer daran denken, wie die „Atlantis“ damals bei dem großen Sturm wie ein Korken auf dem Wasser tanzte und wie man sie manchmal gar nicht mehr sehen konnte im Wellental. Was haben wir gebangt bis ihr Käpp’n das Schiff endlich durch die schmale Einfahrt in den sicheren Hafen gelotst hatte. Schneeweiß und meergrün waren die Gesichter der Passagiere. Weißt Du noch?“ „Ja mein Elke, das vergess ich nie. Heute ist es ganz windstill, da bleibt ihr Frühstück im Magen. Die letzten Segler mussten ja sogar den Motor anschmeißen, um weg zu kommen. Und jetzt sind wir wieder ne Weile noch unter uns Insulanern, fast jedenfalls, bis auf die Angeberbirne da drüben am Kai.“ Das war eine protzige Motoryacht, wie sie in Saint Tropez vielleicht ganz gewöhnlich ist, aber auf Helgoland? Nee, da mochte man sowas nicht. Gerade war die alljährliche allererste Regatta zuende gegangen, traditionell „Rund um Helgoland“ genannt, wo die schmucken großen Segelyachten aus ganz Deutschland um die Wette segelten. Immer zu Ostern, und es war immer eine Pracht die weißen Segel vor dem roten Felsen zu sehen. Segeln war doch was ganz anderes als den Motor anschmeißen auf ner Luxus-Yacht, fanden die Einheimischen. Dieses Jahr war Ostern sehr früh gewesen.

Der Hafenkapitän Hein Wichers kommt von links angeschlendert, um mal nach dem Rechten zu sehen. „Na, Deerns, habt ihr Eure Gäste gut verabschiedet und aufs Schiff gebracht?“ „Ja klar“ nicken die beiden gemeinsam. Elke fragt: „Sach mal Horst, was ist denn das da drüben bloss für ein Protzdampfer?“ Der Hafenkapitän spuckt in hohem Bogen ins Hafenbecken. „Das Ding heißt „Albatross“. Is doch ne Schande für das Tier!“ Wichers spuckt noch mal verächtlich ins Becken, in die Richtung der riesigen Motoryacht aus Hamburg. „Gehört, einem Millionär aus Hamburch, der heißt Müller, Heinz Müller. Kann das Schiff nich mal selber steuern, hat dafür’n Kapitän im Ruhestand angeheuert.“ Er spuckt ein drittes Mal, wie um sein Urteil zu bekräftigen. „Na, denn will ich mal weiter. Tschüss Ihr beiden!“ „Tschüss Hein!“
Elke schaut Anna an, die das weiße Motorschiff ins Visier genommen hat. Der Motor wurde da gerade angelassen, an Deck war niemand zu sehen.

„Anna, Mensch, Heinz Müller, hast du das gehört? Ob das der von damals ist?“ Anna,
ohne Elke anzusehen: „Ja, isser.“ „Mensch Anna, woher weißt du das?“ – „Er hat vorhin hier neben mir auf der Bank gesessen und mich gefragt, ob die Anna Krüss noch auf der Insel lebt, die schöne schlanke Anna mit den blauen Augen und den feinen goldenen Haaren in dem roten Haus hinterm Leuchtturm. Da ist der Groschen gefallen, wer da neben mir sitzt. Er hatte mich ja gar nicht angeschaut, sonst hätte ich ihn bestimmt gleich erkannt. Nee, hab ich gesagt, die lebt hier schon lange nicht mehr. Da ist eines Tages um Ostern rum, es war damals später im Jahr und so schön warm und frühlingsmäßig, da ist eine herrliche Segelyacht mit einem italienischen Prinzen gekommen und der Prinz hat die Anna mit genommen in seine Heimat. Ich seh das noch vor mir,“ hab ich gesagt, „wie der schöne Mann aus dem Süden mit seinen schwarzen Locken und den goldenen Knöpfen auf der schicken Uniformjacke und den weißen Hosen die Anna im Arm hält. Er hat das Steuerrad von seinem Schiff selber in der freien Hand gehabt und auf die Ausfahrt und den blauen Himmel geschaut. Anna hatte ihr hellblaues Kleid an und die blonden Haare wehten im Frühlingswind. Dann segelten sie davon und kamen nie wieder. Soll ich ihr was ausrichten, wenn sie doch mal wieder vorbei kommt?“ „Nein danke“, hat er gesagt, „lassen Sie man.“ Und er hat tief Luft geholt und nach oben geguckt zum Leuchtturm und dann die Luft ein bisschen traurig wieder raus gelassen. Dann ist er aufgestanden und das hat bei ihm genauso geknackt wie bei uns, wenn wir aufstehen, Elke, ja. Und er ist zu seinem Schiff rüber.“

„Anna, warum hast Du ihm nicht gesagt, wer Du bist? Denk doch an die Schulden, die dein Mann dir gelassen hat, bevor er auf See blieb, und wie du mit deiner kleinen Rente kaum klar kommst!“ „Ach Elke, das wollte ich nicht. Weißt Du, ich wollte ihn einfach weiter von seiner schönen blonden Prinzessin träumen lassen.“

Elke schüttelt ein bisschen den Kopf, und dann streichelt sie Annas Gesicht, das ganz rosig und ein bisschen feucht glänzt. „Denn lass uns mal in die Kantine gehen und einen ordentlichen Grog trinken!“ Sie stehen auf von der Bank und es hat ein bisschen geknackt in ihren Knochen und untergehakt stapfen sie Richtung Kantine.


Micaela Sauber, Hamburg, geb 1945, erzählt seit 1986, war in Kooperation mit anderen beteiligt an verschiedenen Initiativen für Kunst und Kultur sowie Erzählkunst. Sie ist seit Jahren viel unterwegs in Europa und dem Nahen Osten sowohl als Erzählkünstlerin wie als Dozentin für Erzählkunst. www.micaela-sauber.de

„Alte Liebe“, Text: Micaela Sauber, Sprecherin: Sylvia Bautsche