• IMO: 15112021
  • Name: Sipan
  • Appearance: Kaik, Segelboot
  • Herkunft: Kurdistan

Haaahh!

von Miriam Burmeister

In den 80er-Jahren gab es mal eine Kundenzeitschrift des Bäckerhandwerks, die hieß „Bäckerblume“. Auf der letzten Seite gab es eine Kolumne zum Thema „So lernten wir uns kennen“. In wenigen Zeilen erzählten Menschen in einer Kurzversion vom Beginn ihrer Liebesbeziehung. Die Art des Kennenlernens stand in keinem Vergleich zu „Tinder“ oder den Algorithmen anderer heutiger Online-Partner-Portale. In der zufälligen Begegnung und in der unerwarteten Situation lag die Überraschung. Und der Zufall war oft erstaunlich erfinderisch. Ich mochte diese Kolumne vor allem wegen dieses Variantenreichtums.

Bei uns war das Momentum des Zufalls ein gemeinsamer Freund, der seinen Geburtstag feierte. Er stellte uns einander vor. Beim Anstoßen und Zuprosten mit den anwesenden Gästen habe ich – aus Jux – zu Dir gesagt: „Aluege“, was auf Alemannisch heißt: „Schau mich an.“ Denn das Anschauen ist ein Teil dieses Glückwunsch-Rituals. Man würdigt das Geburtstagskind, die Beteiligten und den unwiederbringlichen Moment des Zusammenkommens. Ich glaube, Du warst gerade abgelenkt, und ich schaute Dich an, schwang mein Glas in Deine Richtung und sagte „Aluege“. Alle lachten. Deine Katzenaugen leuchteten auf. Für einen überwiegend Kurdisch sprechenden Menschen ist „Alemannisch“ zunächst pure Lautmalerei. Deine „Retoure“ später war, dass Du mir das arabische „H“ beibringen wolltest. Es ist ein kehliger Laut und dieser sitzt ganz hinten im Rachen. Kein Kinderspiel für Europäer. Er ist unserer Anatomie nicht vertraut.

Ich versuchte, ihn zu imitieren, aber es gelang mir nicht. „Haaah haaah wie Habibi!“ riefst Du lachend. Natürlich wusste ich auch, dass „Habibi“ Liebling heißt. In vielen arabischen Schlagern wird die „Liebste“ besungen… jedes zweite Wort ist dann: „Haahhahabibi“. Es war ein kurzes Anhauchen – in diesem Spiel des Kennenlernens – , wo ein kleiner Funke übersprang. Diese spielerische Unterhaltung wurde plötzlich mehr. Dieses „Haah, Dein Atem, Dein wacher Geist, Deine Energie. Dieses Hin- und Herschaukeln von Lauten. „Haah!“ probierte ich. Nein, Haaahhhh!“, korrigiertest Du mich. Ich versuchte, dieses Gutturale hinzubekommen. Wieder lachten die Umstehenden. Die Zeit verging, die Zeugen unserer Begegnung traten in den Hintergrund. Es gab nur noch uns beide und das Haahh!

Haah ist ein Laut, der vieles ausdrücken mag. Probier es mal selbst! Haah kann Ausdruck der Empörung, des Sieges, des Stolzes sein. Haah kann Ausdruck der Entspannung und etwas Lustvolles sein. Haa haa kann einfach nur Lachen sein. Ein gepresstes Ausatmen kann Beginn eines Lachanfalls sein. Hhhhhhhhh kann ein letzter ausgeschöpfter Atemzug sein. Einatmend kann es Ausdruck des Erstaunens sein…

Bei der Logopädie nachgeschaut: „Durch den Hauchlaut lässt sich die Stimmgebung in mehrerer Hinsicht positiv beeinflussen: Bewusstmachung und Lautheitstraining ohne harten Stimmeinsatz im nachfolgenden Vokal, Luftführung bei lauter Stimmgebung. Folgende Übungssätze gibt es dazu: Häng die Hose auf. Hör auf Dein Herz. Huste in die Hand. Der herrliche Herbst.“

Du und ich schauten uns an und wir sprachen mit diesem einen H-Laut etwas aus wie „Halt mich, mein Herz.“

Zum Abschied, als Du Deine Hand schützend um mich legtest, wusste ich, dass Dir viel an meinem Wohlbefinden lag. Eine achtsame und behutsame Geste, die uns zu Verbündeten machte. Wie gut es tat, diese Fürsorglichkeit zu spüren! Später erzähltest Du mir, dass Dein Name von dem gleichnamigen Berg „Sipan“ stamme. Nach der großen Sintflut setzte dort die Arche Noah als Erstes auf.

Wir hatten uns gefunden im kosmischen Sternenhaufen. Haahh!


Miriam Burmeister ist ein Pseudonym einer Frau, die mir ihre Geschichte schrieb, aber aufgrund der engen Verflechtungen der beiden Protagonisten mit ihren Herkunftsfamilien gerne anonym bleiben möchte.

Text: Miriam Burmeister; Sprecherin: BumbleBea