«Was ist eine Insel? Die Welt gibt es nicht, es gibt nur Inseln.»
Jacques Derrida, Philosoph
Jedes Mal, wenn ich aufs Meer hinausschaue, bin ich überwältigt von der Weite des Horizonts. Ich frage mich, wie es ist, da draussen mit dem Schiff tagelang unterwegs zu sein. Auf dem Niemandsland aus Wasser? Als schwimmende Insel?
Relation ships
Das Gefühl vom Festland weit entfernt zu sein, hatte ich im Nordmeer auf Island. Wegen eines Vulkanausbruchs und ausgefallener Flüge gab es damals nur die Möglichkeit, mit dem Schiff nach Europa zurückzukehren. Es war Winter. Ich studierte Sturmwarnungen, den „Shipping forecast“ des BBC und fragte mich, wie riskant es wäre, drei Tage bei Windstärken von 8-9 unterwegs zu sein. Dabei stieß ich im Internet auf eine Karte des marinetraffic.com und war ziemlich überrascht, wieviele Schiffe Tag und Nacht in den eisigen Gewässern vor Island unterwegs waren.
Marinetraffic.com ist eine Online-Standortübersicht, auf der die Positionen der meisten Schiffe auf den Weltmeeren aufgeführt sind. Ich schaute mir die Route der „Norroena“ an. Das ist das Passagierschiff, das Island mit Dänemark und dem Kontinent verbindet. Einmal pro Woche. Bei fast jedem Wetter. Nicht weit von der Norroena entfernt, entdeckte ich ein lebhaftes Treiben: Frachter neben Passagierschiffen, Privatyachten in der Nähe von U-Booten. Sogar Namen und Schiffsrouten, technische Daten etc. kann man aus dem „Marine Traffic“-Fundus beziehen. Manche Kartenabschnitte sehen aus wie stark befahrene Straßen zur Hauptverkehrszeit. In Küstennähe stehen die Schiffe manchmal zueinander in Position. Das sieht aus wie eine Zusammenkunft – auf See. Diese scheinbar unsichtbar miteinander verbundenen Schiffe nannte ich „Relation ships“.
So wie zwischenmenschliche Beziehungen und Netzwerke für Aussenstehende nicht immer offensichtlich und nachvollziehbar sind, so war auch die Position der Schiffe nur über das GPS sichtbar.
Mich fasziniert das Sichtbarwerden der „Relation ships“. Schiffe als Analogien für Menschen, die einander auf ihren Lebenswegen begegnen. Von der Typologie gibt es unendliche viele Schiffsbzeichnungen: Fregatten, Korvetten, Bergungsschiffe, Hospitalschiffe, Baggerschiffe, Schlauchboote, Segelschiffe, Schlepper, Schatzschiffe …sogar Luftschiffe…
oder family relationships, friend ships, acquaintance ships, and romantic relation ships…
Warum jedoch das Bild des Meeres? Unser heutiges Lebensumfeld verliert an festen Strukturen. Netzwerke und Interessen verändern sich und werden schnelllebiger. Die gewohnte Vertrautheit entschwindet. Das Leben ist volatiler geworden.
Vergleichbar mit der GPS-Karte des Marine Traffic Service sind die Essays in „Relations ships“ Momentaufnahmen – sowohl aus kurzen flüchtigen Begegnungen und als auch aus längerdauernden Beziehungen. Sie ergeben eine Art Muster, das sich über die weltweiten Wasserwege erstreckt.
• IMO: 07051926
• Name: Brave Heart
• Vessel Type: Sailing boat
• Summer DWT: 80kg
• Build: 1963
• Flag: Germany
• Home port: Lake of Constance
• Next port: unknown
Einladung zum Schreiben
„Beziehungen sind der Ort, an dem wir unsere größten Lektionen fürs Leben lernen.“
Wieviel Menschen sind wir im Laufe unseres Lebens begegnet? Schreib von einer oder mehreren Dir bedeutsamen Begegnungen/Beziehungen ein paar Zeilen schreiben? Die eigene Biografie enthält längst vergessene Schätze, manchmal auch unverarbeitete Erfahrungen.
An dieser Stelle möchte ich Dich ermutigen und inspirieren zum Schreiben!
Wie? Nimm das Bild eines Schiffes als Symbol für die Person/en über die Du etwas schreiben möchtest. Folge Deiner Intuition und beginne so mit deiner Beziehungsgeschichte. Schiffe als Metaphern für eine „Persönlichkeit“ in sich, symbolisieren Rollen, Labels und Erwartungen.
Dieses wenig angetastete Terrain erzählerisch zu erkunden und darüber zu schreiben, kann eine Möglichkeit sein, sich auf individuelle Art mit seiner Lebensgeschichte auseinanderzusetzen. Alte Geschichten, wie z.B. die, die eine Trennung als Scheitern definiert hat oder die, die uns glauben läßt, dass wir irgendwie „weniger“ sind als Singles. Sie dürfen neu geschrieben werden.
Der Text (Kurzgeschichte/Essay /Gedicht/Brief/ etc.) sollte möglichst nicht länger 1-5 Seiten sein. Er kann auch von Hand geschrieben sein. Du kannst ihn uns zuschicken per email oder per Post (siehe Impressum) zusenden. Bitte verwende keine erkennbaren Namen, die Ähnlichkeit mit lebenden Personen haben – wenn Du es nicht möchtest – da wir die Texte innerhalb dieses Projektes veröffentlichen werden. Deadline für 2021: spätestens bis 30. November
Deadline für weitere Auflage in 2022: 30. September
Es geht in diesem Projekt um den Prozeß des (kreativen) Schreibens, des ARTikulierens und diesen Gefühlen/Erlebnissen eine Stimme zu geben. Dazu möchte insbesondere auch Menschen einladen und ermutigen, mit dem autobiografischen Schreiben zu beginnen.
Schreibend erinnere ich mich an mich selbst. Was ist in meinem Gehirn an Bildern und Tönen gespeichert, was für Erinnerungen an Menschen, Orte, Tiere, Gefühle? Jeder von uns ist einzigartig… Die Welt in mir als Echo und Inspiration. ›Spirare‹ – atmen. Schreiben heißt, die Welt einatmen. Nicht nur die kühle Bergluft am Morgen, auch den Smog, den Rauch, die Abgase. Das Schöne wie das Hässliche.” Doris Dörrie in: “Leben, schreiben, atmen”
Synopsis: Weiterwachsen wird das Projekt in 2022 durch sogenannte “Talking maps”, Landkarten als Verortung der Themen in einem imaginären Raum. Auch in Planung eine Vertonung.