Schiffstyp: none
Lebewesen: Fish
Summer DWT: 84 kg
Born: 1960
Habitat: Mare Thyrrenum

Lùcciola

von Olivia Montaubar

Lùcciola gialla, gialla! Quattro cagnolini e quattro cavalli,
E un paio di campanelle, Scendi, scendi, lucciola bella!*
Ischitanisches Kinderlied

Der Arzt meinte, Eva solle einfach mal wegfahren – dorthin, wo es warm und trocken sei. Er kritzelte ihr auf ein rosafarbenes Rezeptformular: I N S E L U R L A U B. Mindestens für drei Wochen. Über ein Jahr schon hatte sie andauernde Schmerzen im Rücken. Noch nie hatte sie einen Pauschalurlaub gebucht.

Wenige Wochen später saß sie dann im Speisesaal eines Hotels auf einer italienischen Mittelmeerinsel.
Dort wurde man von morgens bis abends von elegant gekleideten Kellnern mit guten Manieren bedient. Die Atmosphäre war wohltuend. Überall blühte und duftete es. Da waren die Ringeltauben, die in den Pinien gurrten, und der leichte warme Wind, der ihr sanft über die Haut streichelte. Jeden Morgen ging sie im Thermalwasserpool schwimmen und nach und nach verblassten die Schmerzen. Im Speisesaal war für jeden Einzelreisenden ein separates „Tischlein“ gedeckt. Es erinnerte sie ein bisschen an Frontalunterricht in der Schule, weil diese Tische fast alle in Richtung Kücheneingang ausgerichtet waren. Von dort schwirrten die Kellner mit ihren Tellergerichten aus. Paare und Familien kamen an größeren Tischarrangements zusammen. Wenn man sich mit den Tischnachbarn unterhalten wollte, musste man gegen eine Wand von Geklimper der Bestecke, Gesprächsfetzen, Zurufen und Gelächter ankämpfen. Immer wieder seine Sätze wiederholen, um einander zu verstehen. Deshalb nahmen die „Singles“ eher eine Beobachterposition ein und schwiegen meditativ bei den Mahlzeiten.

Nach der Hälfte des Urlaubs beendete ein kleiner rundlicher Mann ihren Katzentisch-Marathon. Er fragte sie auf Deutsch mit einem leicht italienischen Akzent, ob sie nicht Gesellschaft wolle und er sich zu ihr setzen dürfe? Da für den heutigen Abend ein stundenlanges Galadiner angekündigt war, sagte sie schnell „Si, si, gerne!“. Zudem hatte er lebhafte und freundliche Augen. Doch die Tischordnung erlaubte leider keine so schnellen Änderungen.

Anderntags war jedoch ein weiteres Gedeck auf ihrem winzigen Tisch. Sie schaute auf die Karte: Signore Pesce. Herr Fisch. „Pesce“ war eines der häufigsten Wörter auf der zweisprachigen Menükarte. Also gibt es heute: „Pesce di tavola“, dachte sie. Von ihrem Tischgenossen war jedoch keine Spur zu sehen. Am nächsten Tag erkundigte er sich jedoch, wann Eva für gewöhnlich zum Frühstück kommen würde, und ließ ihr ausrichten: „Tanti saluti alla mia vicina!“

Einen Tag später trafen sie sich dann zufällig an ihrem Tisch – zum morgendlichen Frühstück. Signore verströmte mediterranes Lebensgefühl, Leichtigkeit und Unternehmungslust. „Parla, parla, parla.“ Er war auf der Insel geboren. Wenn er auf „Heimaturlaub“ sei, renoviere er das Haus seiner Eltern und besuche Freunde, erzählte er. Signore sprach diese wohlklingende, leicht vernuschelte Mischung aus Mittelmeersprachen, die den Dialekt der Insel ausmachte. Eva streunte tagsüber über die Insel und abends tauschten sie Erlebnisse aus. Signore Pesce erzählte mehr und mehr von seiner Familie und Freunden. Einmal – nach einem gemeinsamen Abendessen – begleitet er sie zum Spaziergang. Anschließend trinken sie etwas in der Hotelbar. Signore bestellt Kräutertee. Der Barkeeper ist verwundert. Signore lacht und erwidert, so ein Tee sei das beste Aphrodisiakum. Zum Abschied dieses Abends stellt er sich auf die Zehenspitzen, küsst Eva schnell auf den Mund und verschwindet in der Dunkelheit.

Sie treffen sich zum Frühstück, zum Abendessen und dann später auch nachts. „Du bist meine Gold-Engel-Frau“, flüstert Signore mit seiner warmen tiefen Stimme. Woher weiß er das? „Intuitive“, sagt er. Und immer wiederholt er, dass seine Liebe zu ihr aus tiefstem Herzen komme. „Non dimenticare, vergiss mich nicht, Gold-Engel-Frau!“ Eva zeigt Signore, wie man im warmen Thermalwasser auf dem Rücken liegend schwimmen und dabei schlafen kann. Es sei eine Frage der Atemtechnik. Ob er „Watsu“ kenne? Sie lässt ihn langsam durch das Wasser schweben. Eva legt ihren Kopf auf seinen Bauch – der sich wie ein Kissen anfühlt. Sie lassen sich im warmen Thermalwasser treiben. In der Unendlichkeit des Moments. „Amore infinita“, murmelt er, „amore, amare, a mare, il mare.“ Einmal bummeln sie gemeinsam am Strand entlang, als ein senegalesischer Schmuckverkäufer sie anspricht: „Quel bella copia.“ Was für ein schönes Paar. Groß und klein. Ein türkisfarbenes Armband funkelt sie an. Signore schenkt es ihr. Für meine „Amore di mia vita“. Er fragt sie pötzlich, ob sie sich vorstellen könne, „Frau Pesce“ zu heißen. Ja, an den Fisch müsse man sich gewöhnen, lacht er – in ein paar Monaten will er alles „geklärt“ haben.

Eines Nachts – Signore ist gerade zurück auf sein Zimmer gegangen – steht Eva auf und schaut aus dem Fenster. In der Nacht funkelt ein großes helles Glühwürmchen allein im Zitronenbaum. Lùcciola. Es fliegt hoch wie ein kleines außerirdisches Wesen und entschwindet in der blauschwarzen Nacht. Sommernachtstraum. Eva geht wieder schlafen. Signore kommt zurück und umarmt sie zärtlich.

Der Urlaub geht zu Ende und wenig später spült das grelle Licht des Alltags sie wieder zurück in ihre Routine. Einmal im Jahr ist jedoch Zeit für die Insel…


Olivia Montaubar, geboren 1968. Sie hat es vorgezogen, unter diesem Pseudonym zu schreiben, weil sie in diesem Raum auch Vertrauliches mitteilen konnte. So bleibt die Möglichkeit, sich auf das Geschehene zu konzentrieren.