• IMO: 07034220
• Name: Heart&Humour
• Schiffstyp: Segelboot
• Summer DWT: 63kg
• Build: 1921
• Flag: Germany

Papillon

von Anna Loog

Eines Tages alt sein und noch lange nicht alles verstehen, nein, aber anfangen, aber lieben, aber ahnen, aber zusammenhängen mit Fernem und Unsagbarem bis in die Sterne hinein!“
Rainer Maria Rilke

„Papilli“ nannte ich meinen hochbetagten Papa. Er war mehr und mehr abgemagert, seit er im Heim für demenzverwirrte Menschen untergebracht war. Er war schon seit 7 Jahren dort. Papa schaute mich an – mit großen Augen und eingefallenen Wangen. „Papilli“ klang für mich wie die Verkleinerungsform, klang auch wie „Papillon“, der Schmetterling. Er war zerbrechlich geworden durch sein Abgemagertsein. Durch die Demenz oder einfach aus anderen Gründen wollte er sein Gebiss nicht mehr benutzen, aß weniger und langsamer und nahm dann immer mehr ab. Niemand hatte so richtig Zeit, ihm beim Essen zu helfen, und so wurde das Essen kalt. Das schmeckte ihm nicht. Bananen und süße energiereiche Speisen liebte er jedoch. Seine Wangen waren sehr eingefallen, doch seine Hände hatten noch Kraft.

In seiner Stimme und seinen Augen kam immer noch seine warmherzige und liebevolle Seele zum Ausdruck. Ich liebte meinen Papa. Er war liebenswert, zurückhaltend und ein zutiefst dankbarer, humorvoller Mensch. Papa hat immer überlegt, wie er andere aufheitern könnte. Oder wie er einen Konflikt entschärfen könnte. Es gibt nicht viele Erinnerungen, die ich habe, weil sich die Demenz schon wie ein Nebel zwischen uns legte. Wenn ich eines Tages alte Fotos anschauen werde, dann werden sie vielleicht wieder lebendig.

Gegenwärtig ist in meiner Erinnerung noch der Abschied präsent. Ich kann mich an die letzten Momente mit ihm erinnern: Ich war verzweifelt. Ohnmächtig saß ich neben dem Bett meines sterbenden Papas. Der Atem rasselte. Wie konnte ich ihm helfen? Da sein. Seit Tagen war er in diesem Verfallsprozess, aber nun konnte er nichts mehr zu sich nehmen, weil der Schluckreflex nicht mehr funktionierte. Der zahnlose Mund war spröde und wie eine offene Wunde. Ich konnte nur noch eins. Seine Hand halten, bei ihm sein und aushalten, dass der Weg des schweren Atems holprig war, dass die Seele vom Körper sich löste. Tage zuvor hatte ich noch gedacht, er würde friedlich lächelnd einschlafen. Aber in jenem Moment spürte ich, dass das Atmen ihm schwerfiel und dass offenbar die Lunge verschleimt war. Ich fragte mich, wie lange er noch so zu leiden hätte, weil er ja auch einen Herzschrittmacher hatte… Was war, wenn die Maschine ihn einfach nur am Leben erhalten würde und damit den natürlichen Sterbeprozess verhinderte? Und er unnötig leiden musste?

Ach, Papa. Du darfst gehen. Ich drückte ihm die Hand und er drückte zurück. Wir morsten uns Lebenszeichen zu. So gab es noch einen Kontakt. Er war immer ein Berührungsmensch gewesen und mit seinen Händen hatte er Kontakt gehalten. Ich stand auf, um ein Taschentuch mit Lavendelduft zu holen, als ich hörte, wie sein Atem plötzlich stockte. Es wurde ganz still. Dann atmete er noch ein paar Mal und ich hielt wieder seine Hand.

Dann war Stille.

Text: Anna Loog, Sprecherin: Verena Wilhelmy

Anna Loog, geboren 1963, hat es vorgezogen, „pseudonym“ zu bleiben, weil sie in diesem Raum auch Vertrauliches mitteilen konnte. So bleibt die Möglichkeit, das Geschehene auf sich wirken zu lassen.