IMO: 4537779
Schiffstyp: U-Boot
Summer DWT: 800t

U-Boot

von Christa Morgenstein

Schon lange habe ich dieses unaufhörliche Klingeln im Ohr… einen Alarm, der sich nicht zurücksetzen oder löschen lässt. Er ist weder die Ansammlung aller Schallwellen der Tümmler noch sind es die Gesänge der Wale.

Nein, auch nicht die Addition von knirschenden Schiffsschrauben, Testbohrungen, Unterwasserexplosionen, das Ächzen der tektonischen Platten oder anderer Katastrophen… nein, es ist das Ergebnis einer Rettung in buchstäblich letzter Sekunde. Hervorgerufen durch den immensen Wasserdruck in 600 Metern Tiefe. Jederzeit würde ich wieder die gesunde Funktion meines Gehörs riskieren, um dieses Wrack zu verlassen.

Was nützt dir schon Hab und Gut, wenn du damit sang- und klanglos untergehst?

Schon unendliche Zeiten lang dümpelte ich mit dem U-Boot in ungeahnten Tiefen herum. Unfassbar, dass die Vorräte so lange reichten. Irritiert durch vorgegaukelte, paradiesische Strände und Landschaften, war mir lange nicht klar, in welcher aberwitzigen Lebensgefahr ich mich befand: Durch dieses orientierungslose Dümpeln war ich schon viel zu lange daran gewöhnt, dass sich hierher kein einziges Photon Sonnenlicht verirrte. Ich beschränkte meine Wahrnehmung viel zu bereitwillig auf die minimalistischen Ausblicke, die die Bordscheinwerfer freigaben.

So viel zur Erkenntnistheorie bzw. -praxis.

Zweifellos war das, was ich sah, war faszinierend: Auf diesem riesigen unterseeischen Plateau haben sich in verschiedenen Senken und Mulden konzentrierte Lösungen der unterschiedlichsten Mineralien im Meerwasser gesammelt. In Dichte, Temperatur und Farbe klar unterschieden – mischten sich die Wasserbassins nicht. Nein, an ihren Grenzen entstanden phantasmagorische Landschaften.

Das menschliche Gehirn ist auf Mustererkennung gepolt und so meinte ich, die Umrisse der Ostsee, die mecklenburgische Seenplatte oder andere geografische Besonderheiten zu erkennen. Ja, ich versuchte sogar, sie zu kartografieren.

Doch das ist genauso undankbar wie Wolkenbilder festzuhalten oder die mannigfachen Schlieren und Verwischungen auf der Farbpalette eines großen Künstlers zu dokumentieren.

Dann, eines Tages, nach unendlich langen, sechzehn Jahren, fiel der Bordcomputer aus! Zum Glück fiel nur die Sprachfunktion der ständigen Durchsagen aus: Wassertemperatur, Dichte, Wellengang an der Oberfläche, Neigungswinkel, Sauerstoffkonzentration in der Atemluft, Restbestände in den Tanks, mögliche Handlungsoptionen und empfohlene Manöver. Durch dieses plötzliche Schweigen des Bordcomputers herausgerissen aus der täglichen Routine, hörte ich ein seltsames Knarzen… es bebte durch das gesamte Schiff und steigerte sich zu einem schleifenden, metallischen Scheuern! Schlagartig wurde mir klar: Das Schiff ist von einer gigantischen Strömung erfasst worden und wird mitgerissen. Wo war ich? Laut GPS gab es das Plateau, auf dem ich mit dem U-Boot schon so lange herumdümpelte, gar nicht. Eigentlich war ich schon längst am Grunde der Sargassosee, zerquetscht durch ein Mimimum an 4000 Metern Wasserdruck. Herrgott nochmal!!

Ohne groß nachzudenken, ratterte ich in meinem mit Panik gefluteten Hirn den Ablauf der Notevakuierung durch: Evakuierungstorpedo entsichern, Sicherheitsanzug, zusätzliches Sauerstoffgerät, Notruf absetzen, Notschleusenexplosion zünden und nichts wie weg hier… !!

Unglaublich! Als mich zwei Tage später die Küstenwache aufgabelte, fand man – weder mit Echolot noch mit irgendeiner anderen Technik – das gesunkene Schiff oder eine Spur des Plateaus wieder. Nur das Rettungstorpedo war der Beweis meiner wissenschaftlich unmöglichen Tauchfahrt. Ja, und dieses Klingeln im Ohr…


Christa Morgenstein, geboren 1965. Sie hat es vorgezogen, unter diesem Pseudonym zu schreiben, weil sie in diesem Raum auch Vertrauliches mitteilen konnte. So bleibt die Möglichkeit, sich auf das Geschehene zu konzentrieren.

Sprecherin: Maria Arato