• IMO: 221123
• Name: Seabird
• Schiffstyp: Krabbenkutter

Unvergessen


von Mira Guardini

Mein Vater war immer sportlich und aktiv. Trotzdem ist er nach langer Krankheit viel zu früh, mit 62 Jahren, verstorben. Er war für mich ein Fels in der Brandung. Man konnte immer zu ihm kommen, er war gerecht und liebevoll. Ich habe ihn sehr geachtet. Sein Tod hat mich geschockt.

Ein paar Monate nach seinem Tod nahm mich meine Freundin zur Ablenkung mit auf eine Wanderung. Wir liefen zur Schliersbergalm hoch. Es war eine gemütliche ruhige Tour. Wir genossen die Natur, schauten nach Pilzen und lauschten den Vögeln. Sie erkundigte sich nach meinem Befinden und zeigte viel Empathie. Wir liefen nebeneinander her, unterhielten uns und schwiegen. Dabei fiel mir immer wieder ein Vogel auf, der uns quasi begleitete. Ich glaubte es kaum und zeigte ihn meiner Freundin. Der Vogel war ganz klein und unauffällig wie eine Meise. Wir machten uns ein bisschen lustig darüber, ob er sich vielleicht verflogen hätte oder vielleicht Unterhaltung bräuchte. Also bezogen wir ihn in unser Gespräch mit ein.

Ich hatte so ein angenehmes, vertrautes Gefühl und spürte meinen Vater ganz nahe. Die Gedanken an ihn schwebten in der Luft. Mein Vater liebte Vögel, bei uns zu Hause gab‘s nicht nur Wellensittich und Kanarie. Nein, auch Waldvögel wie Zeisig und Grünfinken fanden bei uns einen Platz. Einmal hatten wir ein Zebrafinken-Pärchen, das er mit Wattestäbchen und Strohhalm aufpäppelte. Abends war immer „Flugstunde“, das fand ich so toll als Kind, vor allem das Einfangen der Vögel im Dunkeln.

Vielleicht lag es an meiner Stimmung, dass ich die Natur besonders wahrnahm, jedenfalls war ich sensibilisiert. Entspannt wanderten wir weiter, während der Vogel am Weg entlang hopste, piepste, wegflog und doch wiederkam. Selbst meine Freundin fand es seltsam. Nach einiger Zeit machten wir Pause auf einer Bank, packten unsere Brotzeit aus und blickten auf den Weg. Der Vogel war nicht mehr zu sehen… was man sich so alles einbilden kann. Es war ein schönes Beisammensein mit meiner Freundin, jeder hatte etwas Besonderes dabei, was wir teilten.

Es tat mir so gut, mit ihr zu reden. Doch plötzlich fiel mir der Vogel wieder auf. Ich glaubte es nicht. Jetzt erzählte ich meiner Freundin, dass mein Vater Vögel liebte. Irgendwie hätte ich es gerne gehabt, dass die Seele meines Vaters mich nun in der Gestalt des Vogels begleiten würde, es war so passend. Schön wär’s gewesen!

Bald kamen wir oben an der Schliersbergalm an, hatten ein wunderschönes Bergpanorama vor uns und der Schliersee lag uns zu Füßen. Ich blickte nach oben, grenzenlose Freiheit, pfiat di, Papi! So schön war‘s! Unvergessen.


Mira Guardini, geboren 1960. Sie hat es vorgezogen, unter diesem Pseudonym zu schreiben, weil sie in diesem Raum auch Vertrauliches mitteilen konnte. So bleibt die Möglichkeit, sich auf das Geschehene zu konzentrieren.