Appearance: Sailing boats

Gerlinde Bertrand

Friend ships

Wenn man allein lebt, wie ich und 73 Jahre alt ist, sind Freundschaften von besonderer Bedeutung. Sie definieren mich und uns als Person und Mensch. Ich habe in vielen Freundschaften eine Verbundenheit gefunden, die in langjährigen Partnerschaften selbstverständlich ist und in Freundschaften immer wieder neu gesucht, gefunden und gelebt werden muss. Ein Leben ohne Freundschaften ist für mich nicht vorstellbar.

Freundschaften sind – wie andere Beziehungen auch – wandelbar. Manche wurden beendet, andere sind abgebrochen. Viele Freundschaften haben sich durch Lebensumstände wie z.B. Umzüge, neue berufliche und persönliche Wege verändert, aber meist ist die alte Verbundenheit schnell wieder da, wenn man sich wieder begegnet. Dabei ist es unwichtig, ob die Begegnung häufig oder nur ein – bis zweimal jährlich stattfindet. Einige mir liebe Menschen sind gestorben und so lebenslange Beziehungen beendet worden.

Im Meer der Beziehungen kann man Freundschaften wie einen weit verzweigten Schiffsverkehr sehen. Es kann sein, dass man gemeinsam die gleiche Wasserstrasse benutzt, im gleichen Gewässer umherfährt und so eine Weile sich fest im Blick hat. Dann kreuzen sich die Wasserwege, manche Schiffe haben ein Ziel, andere stechen ziellos durchs Meer, bei gutem Wetter geht die Fahrt ruhig dahin, Stürme beuteln Schiff und Kapitän und nicht immer ist vorhersehbar, wo die Anker gesetzt oder gelichtet werden.  Wenn ich die Freundschaften Revue passieren lasse, kommen mir die folgenden in den Sinn:

Ein Freund aus der Jugend, der viele Jahre mich immer wieder an unterschiedlichen Orten aufgespürt hat, mir dorthin Briefe schrieb und mich dann schließlich nach 30 Jahren an meinem jetzigen Wohnort besucht hat. Danach ist der Kontakt abgebrochen – warum weiß ich nicht.

Eine holländische Freundin, die ich in einem Praktikum in meiner Jugend kennenlernte, fand mich vor einigen Jahren wieder als sie ihr erstes „tablet“ bekam und mich googelte. Seither ist die Freundschaft, die über 50 Jahre lang unterbrochen war, wieder aufgelebt und wird von beiden Seiten durch Besuche, Briefe und Email- Kontakte wieder gepflegt.

Eine Freundin aus der Kindheit, mit der mich die allerfrühesten Erinnerungen verbinden. Wir kennen uns über 60 Jahre. Obwohl wir nur eine dreiviertel Stunde voneinander weg wohnen, treffen wir uns in der Regel ein bis zweimal jährlich. Das genügt, um die gemeinsame Verbindung nicht abreißen zu lassen.

Eine Freundin aus der Schweiz, die ich ebenfalls seit über 50 Jahren kenne. Wir treffen uns jährlich – meist zum Langlaufen in den Bergen.

Zwei Freundinnen verlor ich durch deren Tod schon vor vielen Jahren. Eine andere Freundin ist durch ihre Alzheimer-Erkrankung in einer anderen Welt und für mich nicht mehr erreichbar. Eine schöne auch über viele Jahrzehnte lang dauernde Spielgemeinschaft endete vor drei Jahren mit dem Tod eines Spielgenossen.

Eine mir sehr bedeutsame Freundschaft wurde in meinen ersten Berufsjahren geknüpft. Eine Arbeitskollegin und meine Vorgesetzte wurden meine engen Vertrauten. Aus dem Dorf kommend war die Großstadt, in der diese Freundschaft begann – und auch beendet wurde -eine wichtige prägende Begegnung in meinem Leben. Wir unternahmen viel zusammen, wir schrieben gemeinsam ein Buch über unsere Arbeit, wir unternahmen eine wunderbare Reise, wir wohnten und lebten in einem Haus. Viele Abende verbrachten wir mit gemeinsamem essen, sich austauschen und das Leben genießen. Nach einem Auslandsauftenthalt kehrte ich in diese Großstadt zurück und begann dort meine erste Arbeitsstelle und damit meinen Start ins Berufsleben. Meine Freundinnen hatten mich zurückgeholt.

Die Begegnung und Freundschaft mit diesen beiden Frauen, die auch im Leben ein Paar waren, ermöglichten mir unter anderem große Schritte im Beruf und persönliches Wachstum. Ich möchte diese Erfahrung nicht missen und sie ist bis heute ein wertvoller Teil meines Lebens.

Ein Konflikt, dessen Ursache ich nicht mehr weiß, führte zu einem Abbruch der Freundschaft. Ein Abbruch der mir damals sehr weh getan hat und den ich damals auch nicht akzeptieren wollte und konnte. Ich verließ die Großstadt, kehrte zurück aufs Land und versuchte mit Briefen und bei Besuchen in der Stadt, diese Freundschaft wieder aufleben zu lassen. Umsonst. Ich litt sehr darunter, weil das für mich das erste Mal war, dass ich akzeptieren musste, dass mein Freundschaftsangebot nicht mehr erwünscht war, zu einem totalen Abbruch der Beziehung führte. Das hatte ich zuvor noch nie erlebt.

Umso erstaunter war ich, als ich – nach 40 Jahren – einen Anruf von der jüngeren, der beiden Frauen bekam, die mir mitteilte, dass die ihre Partnerin) seit vier Jahren verstorben ist. Sie habe meine Telefonnummer kürzlich wieder gefunden und  wollte mich das nun wissen lassen. Für mich kam war dieses Telefonat überraschend, aus „heiterem Himmel“ und weckte viele alte Erinnerungen und gemischte Gefühle.

Heute überwiegt das Gefühl, dass etwas Ungelebtes, Unfertiges, Unrundes durch dieses Telefonat rund und ganz und versöhnlich geworden ist. Es überraschte mich, dass die alte Freundin den Kontakt zu mir suchte. Dadurch teilte sie mir auch mit, dass unsere frühere Freundschaft auch für sie und vielleicht auch für die verstorbene Freundin so wertvoll war, dass sie mich teilhaben lassen wollte, am Tod der Freundin.

Sie wünscht sich jetzt eine Fortsetzung der Beziehung – ließ aber die Frage bis heute offen, warum sie erst nach vier Jahren mir vom Tod der Freundin berichtet hat. Ich weiß nicht, wie und ob es mit dieser Freundschaft weiter geht.

So fährt mein Lebensschiff auf dem großen Meer, mit unbekanntem Ziel und ich weiß, dass manches, was ungelöst scheint und schien, sich wieder auflösen kann und zu etwas Ganzem Schönen führen kann. Gelebtes wie Ungelebtes bleibt in uns und bestimmt uns und führt manchmal zu Handlungen, die wir nicht rational verstehen und nachvollziehen können. Und nicht immer sind wir es, die das Steuer in der Hand halten.

Text: Gerlinde Bertrand, Sprecherin: Karin Sterk