IMO: 3423645
• Name: Mike
• Schiffstyp: Hausboot

Das Hausboot

von Christa Morgenstein

Ohne Not tauchte ich von den faszinierenden Korallenriffen der vorgelagerten Lagunen zurück zum Festlandsockel. Wie immer war ich beeindruckt von der Gestaltungskraft der Geologie, der Meeresströmungen und dem Lauf der Zeiten. Nicht zuletzt deshalb genoss ich es auch an Land im Gebirge herum zu kraxeln… wenn ich die Hand an den Fels lege und die
möglichen Routen erkunde, ist es als würde ich den Pulsschlag von Mutter Erde fühlen.

Unter Ausnutzung der Zirkularströmung kam ich punktgenau zu meinem üblichen Ein- und Ausstiegsspot im sicheren Hafenbecken. Und da lag es so sicher und fest vertäut, das wollte sicher nicht ein, zwei Pollen weiter fest machen? Hmm… ich tauche darunter durch, um zu schauen, ob zwischen Boot und Steg noch Platz für mich sei an die Leiter zu kommen? Keine Chance. Ich tauchte zurück und rief. Doch der Bootseigner war wohl nicht da. Frech kletterte ich auf das behäbige Heck, das nah an der Wasseroberfläche wie eine Terrasse zum Meer gestaltet war. Vorsichtig, um nicht zu viel nass zu machen, triefte ich an der Reling entlang zur Leiter. Beim Hafenmeister erkundigte ich mich, wem der behäbige Pott gehörte, wann er fest gemacht hätte und wie lange er noch da liegen wollte. Stephen lachte nur und meinte: „Der liegt da schon ewig und wird sich sicher auch keinen Meter mehr weiter bewegen!
Du wirst dich schon mit dem Kerl arrangieren müssen, wenn du weiter Deinen alten Einstieg benutzen möchtest…“

Kopfschüttelnd verließ ich den Hafen, stapfte zu meiner Hütte hoch (Tsunami Höhe!), schälte mich aus dem nassen Neopren, duschte und aß erst mal was. Wasser macht immer sooo hungrig! Wie kann es sein, dass ich das Hausboot bisher nicht bemerkt habe? Bin ich immer wie selbstverständlich drüber gelatscht, wenn ich schwimm-tauchen ging und wieder zurück? Weil es dort so natürlich lag wie eine Erweiterung des Festlandes? Und warum habe ich es jetzt wahrgenommen? Steve hatte schon Recht: so wie das Unterboot aussah mit seinen vor sich hin rottenden Planken, musste es schon ewig dort liegen… Immer noch kopfschüttelnd schnappte ich mein Buch, was zu trinken und einen warmen Pulli für später, wenn die Sonne untergegangen war. Halt! Wo ist meine Stirnlampe? Wie üblich wollte ich zum äußersten Felsenpunkt in dem unwegsamen Gelände westlich des Hafens. Dort schaue ich der Sonne bei ihrer allabendlichen, grandiosen Vorstellung „ Die Hochzeit der Sonne mit dem Meer“ zu, sehe die Sterne aufgehen, beobachte Fische und Wale, sehe Schiffe vorüberziehen… einfach dasitzen und schauen – wunderbar.

Manchmal lese ich ein bisschen oder mache Yoga Asanas. Inzwischen bin ich in einer Lebensphase, in der nichts mehr so gewaltig drängt. Ein echtes Geschenk nach all den dramatischen Ereignissen der Vergangenheit… In dieser Verfassung schlenderte ich am Hafen vorbei und zum ersten Mal sah ich den Bootsbesitzer. (DER war mir noch nie aufgefallen? Ein Baum von einem Kerl mit buschigen Augenbrauen und distanziertem Grinsen? ) „Hallo!“ sagte ich, er: „dito!“ Frech, wer sagt denn so was? Aus meiner tiefschürfenden, humanistischen Bildung, weiß ich natürlich, dass es eine halbwegs freundliche Erwiderung im sinne von “meine Worte“ aufgefasst werden kann. Aber wer spricht schon so? Ein Nordlicht? „Was hast du da?“ fragt er und zeigt auf meine Ausrüstung. „Pulli, Buch und Trinken.“ antworte ich wahrheitsgemäß. „O.K. Komm an Bord!“ fordert er mich auf. Das ist mir ein bisschen peinlich. „Da war ich schon!“ rücke ich raus, er hebt nur fragend die Augenbrauen. Ich erzähle ihm, dass ich heute nach dem Schwimmen über sein Boot zu Leiter gegangen bin… „Ach, dann warst du das, die alles so nass gemacht hat, schöne Frau? Ich hab mich schon gewundert, weil die Seeotter meistens nicht so weit gehen.“

Er lacht. Oje, ein Mensch, der am Wasser lebt, aber jeden Tropfen registriert? Dabei hab ich doch soo aufgepasst! „Was machen wir jetzt, schöne Frau?“ fragt er. Hmm… er scheint es Ernst zu meinen: erstens mit der Einladung, dass WIR was gemeinsam machen und zweitens mit dem Kompliment, sonst hätte er das ganze nicht wiederholt… Oder ist das seine Masche? Der Typ sieht nicht aus, als ob er Maschen nötig findet.. Er ist einfach grundehrlich, auch ein Beobachter…, vielleicht etwas spöttisch bis zynisch. Um mich auf bekanntem Terrain zu bewegen lade ich ihn ein meinen Lieblingsplatz zu zeigen, schließlich habe ich sein Boot als Ein- und Ausstieg benutzt:„ Wenn du Lust hast, lade ich dich ein, heute den Sonnenuntergang von Point spezial aus zu bestaunen!“ „Was ist Point spezial?“ „Mein Lieblingsplatz für die Abende! Hast du gute Schuhe? Der Weg ist etwas holprig. – Ja und eine Taschenlampe brauchst du auch…“ „Das klingt ja spannend, schöne Frau.“ „Ich heiße Christa, du brauchst mich nicht immer schöne Frau nennen!“ Er lacht.

Mike hat alles, teilt mir auch mit, wo notfalls die Ersatzbatterien sind. Dann spazieren wir los und verbringen den ersten Abend gemeinsam. Von diesem Abend an teilen wir alles gemeinsam und es ist so selbstverständlich und harmonisch, als wäre es schon immer so gewesen… Gemeinsam bessern wir das Hausboot aus, wo nötig. Kochen, Essen und leben gemeinsam… – Nur Schwimm-Tauchen gehe ich allein. Das ist für Mike dann doch zu nass.


Christa Morgenstein, geboren 1965. Sie hat es vorgezogen, unter diesem Pseudonym zu schreiben, weil sie in diesem Raum auch Vertrauliches mitteilen konnte. So bleibt die Möglichkeit, sich auf das Geschehene zu konzentrieren.

Text: Christa Morgenstein. Sprecherin: Anja Klukas – www.anja-klukas.de